Humanität und Handlungsfähigkeit. Unsere Vorschläge für eine Migrations- und Partizipationspolitik
von Elisabeth Kaiser, MdB, Hakan Demir, MdB und Gülistan Yüksel, MdB
Als Parlamentarische Linke in der SPD-Bundestagsfraktion begrüßen wir die Vorhaben der Ampelkoalition und dabei insbesondere die Initiativen unserer Bundesinnenministerin Nancy Faeser, unseres Bundesarbeitsministers Hubertus Heil und unseres Bundeskanzlers Olaf Scholz. Mit unseren Vorschlägen für Humanität und Handlungsfähigkeit bringen wir jetzt das nötige Tempo in den migrations- und partizipationspolitischen Neustart!
Legale Migrationswege und sicherer Zugang zum Asylsystem
Das Recht auf Asyl ist nicht verhandelbar
Recht und Praxis des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems müssen den Asylsuchenden Zugang zu europäischem Territorium und fairen Asylverfahren ermöglichen. Wir stehen für die Einhaltung der Menschenrechte an den EU-Außengrenzen und für die Wahrung der Einhaltung durch ein unabhängiges und effektives Menschenrechts-Monitoring an der EU-Außengrenze und innerhalb der EU. Die Senkung von Standards bei „Sichere Drittstaaten“-Regelungen lehnen wir ab. Wir stehen für eine faire europäische Verteilung, in der alle EU-Mitglieder ihren angemessenen Anteil bei der Aufnahme von Schutzsuchenden leisten. Angesichts der restriktiven Haltung einiger EU-Mitgliedsstaaten bekennen wir uns zu unserem Engagement für „Koalitionen der Aufnahmewilligen“.
Seenotrettung stärken
In diesem Zusammenhang treten wir weiterhin für die Schaffung einer europäischen Seenotrettungsmission sowie für die Stärkung der zivilen Seenotrettung ein – auch durch öffentliche Förderung. Die Europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache (Frontex) muss sich so aufstellen, dass Pushbacks der Vergangenheit angehören und die Agentur einen positiven Beitrag zu Seenotrettung und Wahrung der Menschenrechte leistet. Wir unterstützen die Stärkung des Frontex-Grundrechtebeauftragten sowie der parlamentarischen Kontrolle von Frontex. Deutschland darf durch eine Reform der Schiffsicherheitsverordnung die Seenotrettung nicht einschränken.
Wir stehen für legale Migrationswege
Deutschland braucht aufgrund des demographischen Wandels eine jährliche Netto-Zuwanderung von 400.000 Menschen – und zwar Menschen aller Qualifikationsniveaus. Diese Zuwanderung muss pragmatischer und unbürokratischer ablaufen, unter anderem auch für Menschen mit Berufserfahrung. Deshalb unterstützen wir die vorliegenden Pläne zur Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. Auch Menschen ohne formale Qualifikation sollen nach Deutschland kommen können, wenn ihre Erfahrungen und Kompetenzen auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden. Deshalb befürworten wir die Erweiterung legaler Migrationswege für weitere Länder analog zur Westbalkanregelung.
Bleibeperspektiven stärken
Mehr Pragmatismus bei den Bleibeperspektiven
Nicht alle Menschen, die Asyl beantragen, sind auch asylberechtigt. Allerdings integrieren sich viele Menschen ganz automatisch, wenn sie längere Zeit in Deutschland leben. Bei anderen stellt es sich bereits im Asylverfahren heraus, dass sie beispielsweise als Fachkraft hätten einreisen können. Wir stehen für einen pragmatischen Umgang mit der gesellschaftlichen Realität und setzen uns daher weiter für einen echten Spurwechsel ein. Das bedeutet, dass wir auch bei einem abgelehnten Asylbescheid einen Aufenthalt ermöglichen, wenn dieser etwa über einen anderen Aufenthaltstitel möglich wäre. Unsere Solidarität gilt auch den Drittstaatsangehörigen aus der Ukraine. Davon profitieren nicht nur viele gut integrierte Menschen, sondern auch die deutsche Wirtschaft, die händeringend nach Fachkräften sucht. Wir wollen Beschäftigungsverbote für Asylbewerber:innen und Geduldete abschaffen.
Gegen Kettenduldungen und unzumutbare Hürden für Schutzsuchende
135.000 Menschen sind in Deutschland seit mehr als fünf Jahren geduldet. Für sie wollen wir echte Perspektiven für Arbeit, Teilhabe und ein dauerhaftes Leben in Deutschland schaffen. Wir begrüßen daher das zum Jahreswechsel eingeführte Chancenaufenthaltsrecht und setzen uns für seine konsequente Anwendung ein. Zudem treten wir weiterhin für eine Altfallregelung für Menschen ein, die seit zwei Jahren in Deutschland leben und die durch Arbeit, Schulbesuch, Studium oder Ausbildung Teil unserer Gesellschaft geworden sind. Gut integrierte Kinder und Jugendliche, die in Schul- und Berufsausbildung sind, müssen aus den Kettenduldungen rausgenommen werden und so früh wie möglich eine Aufenthaltssicherheit bekommen.
Für viele Geflüchtete – nicht nur für Menschen in Duldung – stellen Identitätsklärung und Passpflicht unüberwindbare Hürden dar. Sie haben Angst, mit dem Gang zur Botschaft ihres Herkunftslandes Angehörige zu gefährden, wollen sich nicht an der Finanzierung der Diktaturen beteiligen, vor denen sie geflohen sind, oder haben auf der Flucht wichtige Dokumente verloren.
Unsere Lösung hier: Wir wollen die Anwendung des sog. Stufenmodells[1] verbindlich regeln. Das bedeutet: Sollten Pass oder Passersatzpapier nicht unter zumutbaren Bedingungen beschafft werden können, können als Identitätsnachweis in einer ersten Stufe andere amtliche Urkunden oder in einer zweiten Stufe auch andere amtliche oder nicht-amtliche Identitätsdokumente herangezogen werden. Die „Erklärung an Eides statt“ wollen wir als letzte Stufe verbindlich ermöglichen.
Teilhabe von Anfang an ermöglichen
Integrationskurse finanziell sicherstellen und qualitativ verbessern
Wir wollen Teilhabe von Anfang an. Wohnung, Sprache und Arbeit sind für eine gelungene Integration zentral. Wer monatelang in Flüchtlingsunterkünften leben muss, von Sprachkursen ausgeschlossen ist und keiner Arbeit nachgehen darf, kann nicht gut ankommen. Deshalb arbeitet die Ampelkoalition an all diesen Punkten, indem wir unter anderem den Wohnungsbau vorantreiben und Arbeitsverbote abschaffen. Außerdem haben wir im vergangenen Jahr ermöglicht, dass mehr als 500.000 Menschen an den Sprach- und Integrationskursen teilnehmen konnten. Dieser Rekordwert entspricht insgesamt einer Verdoppelung und bei den Integrationskursen sogar einer Verdreifachung der Teilnehmendenzahl. Dieses hohe Niveau wollen wir entsprechend des Bedarfs aufrechterhalten. Denn wir wollen für alle Menschen, die nach Deutschland kommen, Integrationskurse von Anfang an anbieten. Die Vermittlung von Sprache, Kultur und Werten ist zentral – auch unabhängig von der Bleibeperspektive. Dafür muss die nötige Finanzierung sichergestellt sein. Darüber hinaus wollen wir die Bedingungen für Kursträger, Lehrende und Teilnehmende verbessern, die Flexibilität erhöhen, den Wechsel von Präsenzkursen in virtuelle Formate ermöglichen und die Zulassungsbedingungen zu lockern. Weiterhin muss eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung für die Kursteilnehmenden kontinuierlich gewährleistet werden, beispielsweise durch das Bundesprogramm „Integrationskurs mit Kind“.
Familienzusammenführung erleichtern
Familien gehören zusammen. Deshalb wollen wir die Familienzusammenführung erleichtern. Im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf verständigt, den Familiennachzug in drei Punkten zu vereinfachen: Nachzug zu subsidiär Geschützten, Geschwisternachzug und Ehegattennachzug. Es ist wichtig, dass wir diese vereinbarten Punkte nun zügig umsetzen. Subsidiär Geschützte sind genauso von Krieg und Gewalt betroffen, wie GFK-Flüchtlinge[2]. Sie müssen beim Familiennachzug gleichgestellt werden. Eltern sollen sich nicht länger zwischen ihren Kindern in Herkunfts- oder Transitländern und in Deutschland entscheiden oder aufteilen müssen. Deshalb dürfen wir bei der Familienzusammenführung minderjährige Geschwisterkinder nicht zurücklassen. Ehepaare sind aufgrund der Regelungen zum Sprachnachweis teilweise jahrelang voneinander getrennt. Sie fordern zu Recht, dass wir hier endlich tätig werden und der Sprachnachweis nicht vor der Einreise erbracht werden muss.
Teilhabe stärken und Diskriminierung bekämpfen
Mehr Teilhabe und Mitbestimmung
Wir wollen Teilhabe für alle Menschen. Fast jeder Vierte in Deutschland hat eine Einwanderungsgeschichte. Mit dem Partizipationsgesetz wollen wir in staatliche Institutionen einen Prozess der interkulturellen Öffnung vorantreiben. So können wir erreichen, dass gerade die öffentliche Verwaltung mit gutem Beispiel vorangeht und gleiche Teilhabe für alle Menschen gewährt – egal ob Migrationsgeschichte oder nicht. Entsprechend des im Koalitionsvertrag beschlossen Leitbildes „Einheit in Vielfalt“ schaffen wir so mehr Repräsentanz und stärken die Partizipation der Einwanderungsgesellschaft. Deshalb begrüßen wir die Erarbeitung eines Partizipationsgesetzes durch das Bundesinnenministerium, das auch den öffentlichen Dienst adressiert.
Der Koalitionsvertrag enthält den Auftrag, eine ganzheitliche Diversity-Strategie in der Bundesverwaltung mit konkreten Fördermaßnahmen, Zielvorgaben und Maßnahmen für einen Kulturwandel einzuführen. Wir begrüßen, dass das Bundesinnenministerium und die Integrationsbeauftragte gemeinsam eine Strategie erarbeiten mit dem Ziel, diese im Sommer 2024 dem Bundeskabinett vorzulegen. Es gilt, dass die gesellschaftliche Vielfalt endlich auch in der Bundesverwaltung adäquat berücksichtigt wird.
Antirassismus- und Antidiskriminierungsarbeit stärken
Die Zahl der Übergriffe auf Geflüchtetenunterkünfte ist im Jahr 2022 erstmals seit 2015 wieder deutlich angestiegen. Zu uns kommende Menschen sehen sich wieder vermehrt rassistischen und rechtsextremen Übergriffen ausgesetzt. Deshalb ist es wichtig, bundesweit die Arbeit der Beratungsstellen für Opfer von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt sowie Idiologien der Ungleichwertigkeit langsfristig zu verfestigen und in nachhaltige Strukturen zu überführen. Eine solidarische und handlungsfähige Migrations- und Partizipationspolitik muss immer eine antirassistische und diskriminierungsfreie Gesellschaft zum Ziel haben. Dies ist Teil der sozialdemokratischen DNA.
Darum haben wir eine umfassende Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes im Koalitionsvertrag vereinbart und wollen zudem die rechtliche Handhabe gegen Diskriminierung ausbauen. Wenn Menschen beispielsweise auf Job- oder Wohnungssuche oder aber auch von öffentlichen Stellen aus rassistischen Gründen benachteiligt werden, braucht es einen effektiveren Schutz. Dafür wollen wir Schutzlücken schließen und Entschädigungsansprüche erweitern, die Antidiskriminierungsverbände stärken und ein Verbandsklagerecht einführen. Das federführende Bundesjustizministerium fordern wir auf, so schnell wie möglich, die Reform auf den Weg zu bringen. Das Amt der Antirassismusbeauftragten muss über die Legislaturperiode hinaus verstetigt werden.
Kommunales Wahlrecht und politische Teilhabe
Politische Teilhabe und Mitgestaltung sind wichtige Bausteine der Integration. Uns geht es um gleiche Pflichten und Rechte für alle rechtmäßig in den Kommunen lebenden Menschen. Deshalb wollen wir allen, die rechtmäßig in unserem Land leben, das aktive und passive Wahlrecht auf kommunaler Ebene einräumen.
Ergänzend wollen wir Angebote zur politischen Bildung und Partizipation stärker in den Communities bekannt machen. Denn damit Menschen auch tatsächlich die Möglichkeit wahrnehmen, zu wählen und mitzubestimmen, müssen wir sie über unser politisches System besser informieren und für unsere Demokratie begeistern. Das Demokratiefördergesetz, mit dem wir die politische Bildung, Vielfaltsgestaltung und Selbstorganisation stärken, ist dafür ein zentraler Baustein.
Einbürgerung bedeutet Gleichberechtigung
Staatsangehörigkeitsrecht modernisieren
Der wichtigste Baustein zur gleichberechtigten Teilhabe ist die Einbürgerung. Wir wollen das modernste Einwanderungsrecht schaffen. Wir stehen deshalb hinter den geplanten Reformen zur Staatsbürgerschaft und verteidigen die Gleichberechtigung vieler langjähriger Mitbürger:innen gegen Verhetzung von rechts. Die Ermöglichung der Mehrfachstaatsangehörigkeit erkennt endlich an, dass sich vielfältige Identitäten und Geschichten auch darin niederschlagen, dass Menschen Verbindungen zu mehr als einem Staat haben können. Vor dem Hintergrund ihrer Leistung für Deutschlands Wohlstand, soll für die Elterngeneration der sogenannten „Gastarbeiter:innen“ und „Vertragsarbeiter:innen“ der Sprachnachweis vereinfacht werden. Damit stärken wir die Demokratie und das Zusammenleben in unserem Land.
Benachteiligungen bei der Einbürgerung abbauen
Darüber hinaus müssen wir bei der Reform auch besondere Benachteiligungen abbauen. Für Staatenlose müssen die vorhandenen Wege zur Einbürgerung besser genutzt werden, Geflüchtete brauchen pragmatischere Lösungen bei der Passpflicht. Forderungen nach der Abschaffung von Ausnahmen bei der Lebensunterhaltssicherung treten wir entschieden entgegen. Die aktuelle Gesetzeslage sieht Ausnahmen vor, wenn die Person den Bezug von Sozialleistungen nicht selbst zu vertreten hat. Zum Beispiel bei unverschuldeter Arbeitslosigkeit, für Menschen mit Behinderung oder pflegende Angehörige ist dies eine lebensnahe Regelung, die noch konsequenter Anwendung finden muss.
Wenn Eltern ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, sollen ihre Kinder Deutsche sein – das gilt für uns auch für Familien, die seit längerer Zeit mit befristeten Aufenthaltstiteln in Deutschland leben.
Kommunen und Zivilgesellschaft bei der Unterbringung entlasten
Die Handlungsfähigkeit der Kommunen
Unser Ziel ist eine Gesellschaft der Solidarität – auch mit denjenigen Menschen, die in der Not zu uns kommen. Voraussetzung dafür sind eine starke öffentliche Infrastruktur und ein handlungsfähiger Staat. Die Länder und Kommunen sind dafür zuständig, die Geflüchteten aufzunehmen, zu versorgen und unterzubringen. Dabei steht der Bund eng an ihrer Seite.
Im letzten Jahr hat der Bund die Länder und Kommunen mit 4,4 Milliarden Euro unterstützt. Für dieses Jahr sind bereits 2,75 Milliarden Euro vorgesehen. Zudem wurden schon ca. 70.000 Plätze in Liegenschaften des Bundes zur Verfügung gestellt. Auch künftig werden wir pragmatisch handeln, um die vielerorts angespannte Unterbringungssituation zu lösen. Freier Wohnraum wird identifiziert, leere Grundstücke werden mit seriellem Bauen oder Containern schnell bebaut und weitere Bundesliegenschaften werden zügig als Unterkünfte hergerichtet. Der Flüchtlingsgipfel unserer Bundesinnenministerin Nancy Faeser im Februar und der Gipfel unseres Bundeskanzlers Olaf Scholz am 10. Mai sorgen zudem für die richtige Steuerung und Koordination.
Zudem entlastet der Bund die Länder und Kommunen von Aufwendungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz: Geflüchtete aus der Ukraine können Leistungen der Grundsicherung erhalten. Damit übernimmt der Bund diese Kosten überwiegend. Gleichzeitig wird den Geflüchteten aus der Ukraine eine zügige Integration in den Arbeitsmarkt ermöglicht. Länder, die bei der Verteilung der Geflüchteten aus der Ukraine eine Drehkreuzfunktion übernommen haben und deshalb besonderen Lasten ausgesetzt waren, haben vom Bund eine Kompensation in Höhe von insgesamt rund 144 Millionen Euro erhalten.
Wir stehen für handlungsfähige Kommunen, deren Fähigkeit zur Solidarität mit Geflüchteten nicht von der Wirtschaftskraft abhängen darf. Wir treten daher für eine kommunale Altschuldenlösung und für eine vollständige Finanzierung der Mehrausgaben durch Bund und Länder ein. Angesichts der zahlreichen Aufgaben, die die Kommunen zu erfüllen haben, darf es keine zwei Geschwindigkeiten zwischen finanzstarken und finanzschwachen Kommunen geben. Es braucht gleichwertige Lebensbedingungen. Kommunen brauchen mehr Verlässlichkeit, um vorausschauend nachhaltige Integrationsperspektiven gestalten zu können. Dazu gehört, dass eine dauerhafte und auskömmliche Finanzierung bei der Integrationsaufgabe gewährleistet ist und auf deren Basis die Kommunen planen und Kapazitäten vorhalten können. Um für Kommunen die Voraussetzungen dauerhaft zu verbessern, sollte Integration daher gesetzlich als kommunale Pflichtaufgabe abgesichert werden. Es braucht eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern, wie diese kommunale Pflichtaufgabe personell und finanziell ausgestaltet werden kann.
Eine gute Verteilung kann gelingen
Gutes Ankommen vor Ort hängt auch von den Verteil-Modalitäten und den Rechten der Geflüchteten ab. Wir sind der Meinung, dass die positiven Erfahrungen mit der Einbeziehung familiärer Kontakte durch das FREE-System[3] bei zukünftigen Verteilungen besser berücksichtigt werden sollen. Wohnsitzauflagen, die beispielsweise eine erfolgreiche Wohnungssuche in einem anderen Bundesland unterlaufen, lehnen wir ab. Die Aufnahme ukrainischer Geflüchteter hat zudem gezeigt, dass es die Verpflichtung für Geflüchtete, in Gemeinschaftsunterkünften zu leben, nicht braucht. Wir wollen prüfen, wie wir diese positiven Erfahrungen für alle Geflüchteten besser nutzen können.
Solidarität muss belohnt und gefördert werden. Wir wollen die Finanzierung von überdurchschnittlich aufnahmebereiten Gemeinden aus EU-Mitteln verbessern und stärken das Engagement Einzelner in der Aufnahme von Geflüchteten, zum Beispiel durch das NesT-Programm[4].
Die Aufnahme und Integration der Geflüchteten ist und bleibt die Aufgabe des Staates. Die Erfahrung mit den ukrainischen Geflüchteten insbesondere zu Anfang des Krieges hat gezeigt, dass private Haushalte eigeninitiativ einen Teil dieser Aufgaben übernommen haben. Um solche Initiativen wertzuschätzen, soll eine unbürokratische Helfer-Prämie an Privathaushalte, die Geflüchtete bei sich unterbringen, geprüft werden.
[1] Das sogenannte Stufenmodell ist ein vom Bundesverwaltungsgericht etabliertes Verfahren, das bei der Einbürgerung die Ausnahmen von der Passpflicht regelt. Wenn kein gültiges Passdokument vorliegt, können alternativ andere amtliche Dokumente (auch z.B. abgelaufene Passdokumente), nicht-amtliche Dokumente, Zeugenaussagen sowie der eigene Vortrag zur Identitätsklärung herangezogen werden. Praktisch relevant ist das Verfahren insbesondere bei Menschen, die die Kooperation mit ihrer Herkunftsland-Botschaft (z.B. wegen eigener Gefährdung, der Gefährdung der Angehörigen oder sehr hohe Kosten) als unzumutbar empfinden. Politisch relevant ist die unzureichende und sehr unterschiedliche Anwendung dieses eigentlich sehr pragmatischen Verfahrens durch die Behörden.
[2] GFK steht für „Genfer Flüchtlingskonvention“.
[3] FREE steht für “Fachanwendung zur Registerführung, Erfassung und Erstverteilung zum vorübergehenden Schutz” und bezeichnet ein vom BAMF genutztes Verteilsystem für Geflüchtete. Das System wurde für die Ukraine-Verteilung entwickelt und kann beispielsweise anders als das für alle anderen Geflüchteten genutzte „EASY“-Verteilsystem familiäre Bindung abbilden und in die Verteilentscheidung einbeziehen.
[4] NesT steht für „Neustart im Team“ und bezeichnet ein humanitäres Aufnahmeprogramm. Dabei werden vom UNHCR als besonders schutzbedürftig eingestufte Personen, die sich noch im Ausland befinden, in Deutschland aufgenommen, wenn sich ein Mentoring-Kreis an Ehrenamtlichen zusammenschließt, der Wohnraum zur Verfügung steht und die Integration persönlich begleitet wird. Zahlenmäßig ist das Programm eher klein (bis zu 200 Personen im Jahr), es ist aber ein gutes Beispiel für die zivilgesellschaftliche Begleitung von Geflüchteten und die Nutzung zivilgesellschaftlicher Solidarität.
Das Positionspapier kann hier heruntergeladen werden.